TERESA ODER DIE QUADRATUR DES KREISES

TERESA ODER DIE QUADRATUR DES KREISES

Kristina von Bülow, March 2019

Erik Andersens schwarze Skulpturen sind vieldeutige Rätsel, die sich nicht auf den ersten Blick entschlüsseln lassen. Die monochromen Objekte mit geschlossenen Oberflächen stehen klar konturiert und präsent im Raum. Ihre formale Reduktion suggeriert zunächsteine Eindeutigkeit der künstlerischen Aussage, die sich jedoch bei genauerer Betrachtung auf mehreren Ebenen als metaphorisch und hintersinnig offenbart. Es sind philosophische Metaphern für die menschliche Existenz, die der Künstler auf durchdachte, aber auch auf spielerische Weise dreidimensional im Raum materialisiert.

Exemplarisch für Erik Andersens schwarze Skulpturen steht Teresa von 2018, eine auf Kreis und Quadrat basierende Wandarbeit. Wie ineinander gefallene Ruinen einer bauklotzartigen Architektur sitzen halbkreis- und viereckförmige Elemente aufeinander. In ihrer Verschobenheit halten sie sich durch eine nach dem Einsturz neu gewonnene innere Statik aufrecht. Auf der vorderen Ebene bildet ein Fenster aus zwei Halbkreisen, die wie ein gedoppelter Steinbogen anmuten, einen Durchblick zur quadratischen Rückwand des Konstrukts. Wie ein Rahmen umschreibt dieser Kreis einen Freiraum, der, dem Weltall gleich, unendlich in die Tiefe zu gehen scheint.

Aber dieser Kreis ist nicht vollkommen. Der perfekte Kreis ist ein archetypisches Symbol für das Ideale, Arkadische, Göttliche. Das Absolute dieser Merkmale deutet schon auf ihre irdische Unerreichbarkeit hin. Dass der Kreis bei Erik Andersen in dieser instabil wirkenden Konstellation dargestellt wird, ist eine Metapher für das auf ewig vergebliche Streben des Menschen nach Perfektion. Der Wunsch nach arkadischen Idealzuständen ist nur allzu menschlich– die Unmöglichkeit, sie tatsächlich zu erreichen, ebenso.

Dieser existenzielle Konflikt zwischen Innen und Außen, Realität und Ideal wird durch den Titelzusatz "Teresa" unterstrichen. Es ist ein Verweis auf die heilige Teresa von Ávila, die zum einen für ihre starken inneren Erfahrungen bekannt ist, die sie in meditativen Zuständen während des Betens machte, aber zum anderen auch für ihre nach außen gerichtete Verbundenheit mit den Menschen. Die Ambivalenz von Introspektive und Extrovertiertheit, zwischeneiner Einkehr in sich selbst und der Kommunikation mit der Außenwelt, charakterisiert das Menschsein im Allgemeinen und künstlerisches Schaffen im Besonderen. Der ständige Zwiespalt zwischen Tatsachen und Idealzuständen und das stete Bestreben, ihn zu überbrücken, ist ein Schlüsselthema im Werk von Erik Andersen.

Während wir also im Vordergrund unsere Realität konstruieren und es mehr oder minder gelingen will, blicken wir hinaus in die Utopie. Unsere Realitätsebene erzählt von Versuch und Fehlschlag, von Entstehen und Vergehen, aber der Hintergrund, das unerreichte Ideal, bleibt ebenmäßig bestehen. In diese Rückwand hat der Künstler mit dem Daumen einen annähernd perfekten Kreis eingezogen, der den Fensterausschnitt wiederholt. Diese Rille, als handgemachtes Signet auf göttlicher Tapisserie, steht für die menschliche Imagination persönlicher Idealzustände.

Über Zeiten und Kulturen hinweg bedeuten Kreis und Quadrat in Kunst und Architektur seit jeher das Göttliche und das Irdische. Der Kreis ohne Anfang und Ende symbolisiert Zeit- und Grenzenlosigkeit, und das Quadrat mit seinen vier Seiten repräsentiert die vier Elemente und Himmelsrichtungen. Diese spezifische Kombination zweier geometrischer Formen ist ein vom Psychoanalytiker Carl Gustav Jung definierter Archetyp, also eine menschheitsumfassende Grundform aus dem Vokabular des kollektiven Unbewussten. Kreis und Quadrat bilden nicht zufällig auch die Grundrisse von Sakralbauten aus Okzident und Orient, wie zum Beispiel vom Petersdom in Rom und von der StupaBorobodur in Indonesien.

Die perfekte Idealwelt Arkadiens erreichen zu wollen ist das Äquivalent zur Quadratur des Kreises: ein stets angestrebtes, aber ewig unlösbares Vorhaben. Erik Andersen versinnbildlicht in seinen schwarzen Skulpturen die Diskrepanz zwischen dem, was ist und dem, was sein könnte. Sein eloquentes Spiel mit Erwartungen und Mehrdeutigkeiten macht sein Werk inhärent aus und eröffnet wechselnde Perspektiven und metaphorische Sinnebenen.  

Teresa 2018 is a black abstract sculpture. The artwork is made of epoxy resin - The photo is taken at studio Erik Andersen berlin
TERESA, 2018, Photo: Studio Erik Andersen, Berlin

TERESA OR SQUARING THE CIRCLE

Kristina von Bülow, March 2019

‍Erik Andersen's black sculptures are ambiguous riddles that are not decipherable at first glance. The monochrome objects with compact surfaces and clear contours have a strong spatial presence. Their formal reduction at first suggests a directness of the artistic message that, uponcloser look, is revealed to be metaphoric and witty on several levels. The works are philosophic metaphors for human existence, which the artist manifests three-dimensionally in a thought-out yet playful way.  

 

Teresa, 2018, a wall piece based on circle and square, is exemplary for Erik Andersen's black sculptures. Reminiscent of the collapsed ruins of a toy block-like architecture, semicircular and quadrangular elements are sitting on top of one another. In their shiftedness, they hold each other up by means of inner statics newly attained after the collapse. In the foreground, a window of two semicircles, appearing to be a doubled stone arch, creates an apertureto the square back plate of the construct. Like a frame, this circle circumscribes an area that, similar to space, seems to extend endlessly into the depths.

 

But this circle is not unflawed. The perfect circle is an archetypal symbol of the ideal, the Arcadian,the divine. The absolute of these characteristics points to their earthly unattainability. The fact that Erik Andersen sets up this circle in a seemingly unstable balance is a metaphor for the eternally futile human pursuit of perfection. The desire to reach ideal Arcadian states is all too human – the impossibility to actually get there just as much.

 

This existential conflict between the interior and the exterior, between reality and the ideal is underlined by the title addition "Teresa". It is a reference to Saint Teresa of Ávila who is, on the one hand, known for her strong inner experiences that she had during meditative states while praying, and, on the other hand, for her outward-driven connection with people. The ambivalence of introspection and extrovertedness, between self-communion and communication with the outside world, characterises being human in general and artistic creation specifically. The constant antagonism between facts and ideal states and the ongoing aspiration to bridge it is a key theme in the work of Erik Andersen.

 

Thus, while we construct our reality in the foreground and succeed at it more or less, we lookout into utopia. Our reality plain tells of trial and error, of emergence and decay, but the background, the unattained ideal, remains unchanged. Into this back plate, the artist has inscribed with his thumb a nearly perfect circle that repeats the window opening. This groove, as a handmade signet on divine tapestry, stands for the human imagination of personal ideal states.

 

Since time in memorial and across epochs and cultures, circle and square signify the divine and the earthly in arts and architecture. The circle without beginning and end symbolises timelessness and infinity, and the square with its four sides represents the four elements and cardinal directions. This specific combination of two geometric forms has been defined as an archetype, an elementary form from the vocabulary of the collective unconscious spanning humankind, by the psychoanalyst Carl Gustav Jung. Not coincidentally, the ground plots of sacral buildings from the occident and the orient, such as, for example, St. Peter'sin Rome and the Stupa Borobodur inIndonesia, are based on the circle and the square.

 

The desire to reach the perfect ideal world of Arcadia is the equivalent to squaring the circle: a constantly sought-after but eternally unsolvable undertaking. In his black sculptures, Erik Andersen emblematises the discrepancy between what is and what could be. His eloquent play with expectations and ambiguities inherently constitutes his work and opens varying perspectives and metaphoric dimensions of significance.

LIST OF WORKS
TERESA, 2018, Photo: Studio Erik Andersen, Berlin
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